Wir schreiben das Jahr 2016. Ich sitze vor dem Indie-Titel Firewatch und bin hin und weg. Von der schonungslosen und herzzerreißenden Erzählweise bis zu den ehrlichen Dialogen zwischen den beiden einzigen Charakteren, die über Funk miteinander kommunizieren, hat mich selten ein Videospiel so berührt wie dieser kleine Titel. Und ich frage mich: warum gibt es nicht mehr von dieser Art Spiel?
7 Jahre musste ich warten, bis jetzt mit The Invincible des polnischen Entwicklers Starward Industries zumindest scheinbar ein Titel gelandet ist, der in die gleiche Kerbe schlägt. Schon als ich auf der Gamescom im August selbst Hand anlegen durfte, merkte ich, dass sich Starward offensichtlich von Firewatch hat inspirieren lassen, was Gameplay und Erzählweise angeht. Doch ist es genauso effektiv?
Ihr steuert Yasna, eine Astrobiologin und Teil einer Crew, die es auf den unerforschten Planeten Regis III verschlägt. Dort gilt es schnell, nicht nur den Rest eurer verschollenen Crew aufzuspüren, sondern auch das Geheimnis des rätselhaften Planeten zu lüften, mit dessen Sonderheiten ihr immer wieder konfrontiert werdet. Gleichzeitig seid ihr scheinbar nicht die einzigen Menschen, die Regis III für sich entdeckt haben…
The Invincible basiert auf dem gleichnamigen Sciencie Fiction-Roman des polnischen Autors Stanislaw Lem von 1964, und das merkt man deutlich. Das gesamte Design beruft sich auf den Atompunk-Stil der 1960er-Jahre und sticht so markant hervor. An den kleinsten Details merkt ihr, dass sich dieses Worldbuilding “anders” anfühlt, aus der Zeit gefallen im wahrsten Sinne. Das hebt den Titel angenehm aus der Masse ab.
Gameplay-technisch hat sich Starward auf jeden Fall einiges von Campo Santo abgeschaut, die Firewatch entwickelt haben. So bestehen die hauptsächlichen Gameplay-Mechaniken aus der Erkundung zu Fuß, sowie der Kommunikation über Funk mit eurem Gesprächspartner. Hier handelt es sich dabei um Astrogator Novik, der die Crew auf ihrer Mission nach Regis III geleitet hat und jetzt alles daran setzt, seine verstreuten Teammitgliedern sicher nach Hause zu bringen.
Dabei stehen Yasna als Erwiderung immer mehrere Dialogoptionen zur Verfügung, die mitunter auch Auswirkung auf den Spielverlauf haben (und damit auch darauf, welches der elf Enden ihr zu sehen bekommt). Damit werdet ihr aktiv in die Unterhaltungen eingebunden und seid nicht nur Zuhörer bei den teils sehr langen wissenschaftlichen Diskussionen über Xenobiologie, etc.
Teilweise schweifen diese Unterhaltungen aber zu sehr ab und verlieren sich in Gedankenspielen und philosophischen Grundsatzdiskussionen, die zwar interessant sind, aber einen mitunter das Ziel vor den Augen verlieren lassen. Generell wird man das Gefühl nicht los, das an den Dialogen einiges hätte geschnitten werden können, damit man ein bisschen mehr Dampf auf die spannende Story bekommt, die so nur langsam auf Betriebstemperatur aufheizt.
Die zweite Gameplay-Säule, die Erkundung wird im späteren Spielverlauf durch ein Fahrzeug aufgelockert, mit dem ihr euch durch die Areale bewegen könnt, anfangs noch sehr linear, später dann etwas offener. Leider fehlt hier dann im Leveldesign die Eindeutigkeit, welcher Weg zum Ziel führt, grade weil die Welt von Regis III zumindest visuell recht eindimensional ist. Muss ich jetzt an diesem Stein abbiegen, oder am nächsten? Das sorgt mitunter für Verwirrung.
Die Story muss abschließend noch einmal positiv hervorgehoben werden. Wer die Werke von Stanislaw Lem nicht kennt, bekommt hier eine ganz andere Art von Science Fiction geboten, als man sie vielleicht gewohnt ist. Wer die Buchvorlage kennt, für den ist es ein Genuss, das retrofuturistische Setting realisiert auf dem Bildschirm zu sehen.
Dasselbe gilt für den Handlungsverlauf. Das Mysterium von Regis III ist so nicht erwartbar, weil es jegliche Sci-Fi-Klischees umfährt, und einen ganz eigenen Weg geht. “Ungebraucht” und “erfrischend” sind Adjektive, die einem einfallen.
Fazit
Um die Eingangsfrage zu beantworten: kann The Invincible mit dem offensichtlichen Vorbild Firewatch mithalten? Leider nicht ganz. Dafür fehlt mir einfach der letzte Feinschliff und die emotionale Tiefe.
Aber für sich genommen ist The Invincible trotzdem ein hoch interessantes storybasiertes Sci-Fi-Game, das ganz eigene Wege geht. Die Entscheidung zur Umsetzung eines Romans aus den 60ern hat sich dabei als goldrichtig erwiesen. So entsteht ein Spiel, das man nicht alle Tage sieht, und das man meiner Meinung nach als Fan ungewöhnlicher Stories gespielt haben sollte. Für 30 € bekommt 6 einzigartige Stunden, die man so schnell nicht wieder vergisst.
The Invincible verdiente sich die
GAMAZINE SILVER TROPHY